Was wir wissen ist ein Tropfen...

Zweimal in der Woche gehe ich mit meinen Draußenkindern, eine Gruppe von 4-8 Kindern, in den Wald. In meiner Ausbildung habe ich gelernt, mich auf die Einheiten mit den Kindern gut vorzubereiten und genügend „Ersatzmaterial“ in Form von Spielen in petto zu haben. Für den Fall der Fälle. Nur zur Sicherheit.

 

Vorbereitung ist das halbe….ach was!

Nach acht Einheiten mit meinen Draußenkindern habe ich zwei wichtige Dinge gelernt. Erstens: Egal, was man sich vornimmt, es kommt alles anders und zweitens: wir (Erwachsenen) dürfen noch so viel mehr lernen.

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Ganz viel Geduld beim Floß bauen

Die Nervosität vor den ersten Einheiten hat sich bis heute nicht gelegt. Zu Beginn war ich eher darüber besorgt, ob die Kinder sich über meine Angebote freuen und wir eine feine gemeinsame Zeit in der Natur verbringen werden. Heute bin ich eher darüber besorgt, ob mir gefällt, was die Kinder vorhaben. Es hat sich nämlich mit der Zeit so entwickelt, dass die Kinder meine Angebote immer etwas abwandeln und zu ihrer ganz eigenen Sache ummodeln. Ich war zuerst skeptisch und dachte, dass ich mich nicht gut genug vorbereitet habe. Aber ich erkannte mit der Zeit, dass im Umformen meiner Angebote das eigentliche Spiel der Draußenkinder liegt. Sie haben über Wochen hinweg gelernt, verschiedene Plätze in der Gruppe einzunehmen und das freie Spiel zu Ihrem zu machen.

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 Ein Waldbild entsteht


Kleine Schwämme

Gemeinsam haben wir eine herrliche Dynamik entwickelt, bei der die Kinder ihrem Drang nach freiem Spiel nachkommen können und meine Themen über Natur und Wald miteinfließen dürfen. Ich halte nicht an Übungen oder Aufgaben fest, wenn die Kinder das gerade nicht wollen. „Für den Außenstehenden ist die Bedeutung des freien Spiels oft nicht erkennbar. Es sieht nach purer Zeitverschwendung aus, wenn Kinder “sinnlos” auf einem Stein balancieren, von A nach B rennen oder sich einen Hügel herunterrollen lassen. Aber gerade im freien Spiel lernen Kinder unwahrscheinlich viel über sich selbst, ihren Körper, ihre Grenzen, ihre Mitspieler und ihre Umwelt (…)“[1]

Während die Kinder im Wald umherschweifen, balancieren und spazieren haben wir, teilweise ganz nebenbei, über die Waldbewohner und ihre Gewohnheiten, über Bäume, die Umwelt und deren Schutz und so viel mehr geplaudert. Für mich wirkte es zumindest wie eine Plauderei, für die Kinder war es jedoch das Aufsaugen von Information. Ab und zu fragten sie nach, wenn wir über etwas sprachen, aber meistens hatte ich das Gefühl, dass sie nicht einmal wirklich zuhörten. Und dann überraschten sie mich, so wie sie es eigentlich Einheit für Einheit aufs Neue schaffen. Sie schmetterten mir all ihr angeeignetes Wissen bei jeder Gelegenheit um die Ohren. Nach einigen Einheiten hatten sie so viel über Natur begriffen, dass sie begonnen hatten sich selbst Antworten auf ihre Fragen herzuleiten. Ich war so begeistert, konnte es gar nicht fassen. Sie überlegten, warum eine Eidechse wohl ihren Schwanz abwirft, philosophierten darüber warum Bienen wichtig sind und fanden heraus, was es mit dem Harz auf den Baumrinden auf sich hat. Und ich durfte dabei zusehen und lernen.

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 Schnecke beobachten


Beobachten und warten

So lernten wir alle, in dem wir selber machten. Das, was ich in meiner Ausbildung in der Theorie gelernt habe (nämlich, dass Kinder ständig lernen und ihr Drang nach Exploration quasi unstoppable ist) durfte ich anhand der Draußenkinder selbst erleben. Sie sehen Dinge, die ich nie gesehen hätte. Dies liegt vorrangig jedoch nicht an den unterschiedlichen Körpergrößen und den daraus resultierenden verschiedenen Sichtspektren, sondern einfach an der Begeisterung, die sie für all die kleinen Dinge haben. Sie sind achtsam, weil sie es nicht eilig haben. Sie sehen einer Schnecke minutenlange zu, wie sie ihre Fühler aus und wieder einstreckt. Ich versuche mich anstecken zu lassen und bemerke, Kinder sind die wahren Meister der Achtsamkeitsübungen!

Schönes Wochenende!

Eure Anna



[1] https://kindheitinbewegung.de/mehr-freies-spiel-fuer-kinder/