Grau für Alle!

Das war sie also: die erste Woche Isolation mit zwei Kindern (eines davon durfte ein neues Lebensjahr feiern) und einem arbeitenden Mann in einem Haus. Social Media ist gefühlt gerade wichtig wie nie zuvor. Nicht nur, um sich am Laufenden zu halten, sondern auch um sich gegenseitig Zuspruch zu holen und Ideen auszutauschen.


Die Ausnahmesituation

Ich war Anfang der Woche mehr als hin und hergerissen – und bin es eigentlich immer noch. Auf der einen Seite kommt da diese „Positivity“-Welle, die uns sagt, dass es nun an der Zeit ist, die gewonnene Familienzeit zu genießen und sinnvoll zu nutzen. Entschleunigung auf ganzer Linie. Auf der anderen Seite, gibt es unzählige Angebote für „besorgte“ Eltern, die ihre Kinder während der Isolation beschäftigen wollen. Jeder von uns war schon einmal mit einem kranken Kind über mehrere Tage „eingesperrt“, doch die wenigsten von uns kennen eine derartige Extremsituation: Isolation, kaum bis keine sozialen Kontakte, kein Spielplatzbesuch, keine Verschnaufpause.

Ich glaube, wäre ich allein oder nur mit dem Mann, wir würden das schon gut hinbekommen. Netflix und Backgammon würden uns durch die einzelnen Tage führen. Aber auch das kann ich nur so leicht daherschreiben, weil ich eben nicht in der Situation bin. Denn auch für meine Freunde und Bekannte ohne Kinder ist das ganze natürlich eine arge Ausnahmesituation.

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Bei uns gibt es jeden Tag eine "Bewegungseinheit"


Einfach mal ein bisschen lagom sein

Wir haben für uns einen guten Mittelweg gefunden, Struktur und freies Spiel zu vereinbaren. Ich bin ja ohnehin in den meisten Fällen für Grau, wie ich die goldene Mitte gerne nenne. Unser Vormittag ist meist sehr strukturiert, damit wir am Nachmittag dann einfach im Flow dahinleben können. So ist es für uns genau richtig. Die Schweden haben dafür einen netten Ausdruck: sie finden etwas „lagom“ und meinen damit im positiven Sinne, dass etwas „gerade richtig“ ist, eben nicht zu viel und nicht zu wenig. Dazu muss ich sagen, dass wir hier noch kein schulpflichtiges Kind haben, das erleichtert die Sache wahrscheinlich ungemein. Aber so oder so: Jeder geht wohl anders mit dieser Ausnahmesituation um.

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Freies Spiel - zwei Inseln im Vorzimmer und die Eltern können arbeiten

Und darauf will ich eigentlich hinaus: wir sind alle anders gestrickt. Ob ich diese Zeit jetzt genieße oder Angst davor habe, dass mir die Decke auf den Kopf fällt, sagt nichts darüber aus, wie sehr ich meine Familie liebe. Wir sollten einander nicht danach beurteilen, wie gut oder weniger gut wir mit dieser Situation umgehen. Wir sollten für einander da sein, uns unterstützen und Verständnis für einander aufbringen. Nicht nur jetzt, sondern immer!


Was nehmen wir mit?

Ich habe ja die leise, manche mögen meinen naive Hoffnung, dass uns diese Coronakrise auch etwas Gutes bringen wird. Horx schreibt dazu „Die kommende Welt wird Distanz wieder schätzen – und gerade dadurch Verbundenheit qualitativer gestalten. Autonomie und Abhängigkeit, Öffnung und Schließung, werden neu ausbalanciert. Dadurch kann die Welt komplexer, zugleich aber auch stabiler werden. Diese Umformung ist weitgehend ein blinder evolutionärer Prozess – weil das eine scheitert, setzt sich das Neue, überlebensfähig, durch. Das macht einen zunächst schwindelig, aber dann erweist es seinen inneren Sinn: Zukunftsfähig ist das, was die Paradoxien auf einer neuen Ebene verbindet.“[1]

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Balanceübungen am Costaboard

Qualität also, nicht Quantität! Das ist es, was wir mitnehmen können, aus all dem Chaos, dem Neuerschaffen und der Achterbahnigkeit, die diese Zeit gerade mit sich bringt. Konsum reduzieren, echte Gespräche statt kurzer Whatsapp-Nachrichten, Nachbarn kennenlernen, Zeit nehmen und geben, Bücher lesen, Garten oder Balkon genießen, Solidarität leben!

Bleibt zu Hause – bleibt gesund!

Schönes Wochenende

Eure Anna

 



[1] Horx, Matthias: 48 – Die Welt nach Corona. Die Corona-Rückwärts-Prognose: Wie wir uns wundern werden, wenn die Krise „vorbei” ist.  In: https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona/